MOKO Magazin No. 6, Mobile Kochkultur, Nürnberg

„Billa Reitzner lernte in Landshut den Beruf der Keramikerin und arbeitet seit 1993 in ihrer eigenen Werkstatt in München-Giesing in der Zugspitzstraße. Begegnet bin ich Billa vor vielen Jahren bei den Nürnberger Ateliertagen. Sie formt u.a. Löffel aus Porzellan in mattem schwarz und cremefarbenem Porzellan. Kleine Löffelchen, größere Schöpfer, mit Loch, ohne Löcher, wie es ihr gefällt, alles Unikate. Die Löffel haben ganz viele Gemeinsamkeiten mit dem Fassnachtsbrunnen in Basel von Jean Tinguely, finde ich. Die Löffel waren natürlich der Hingucker für mich, da der Löffel ja ein wichtiger Teil meines MOKO Firmenlogos ist.

Bekanntermaßen muss ich alles anfassen, was mir gefällt. So auch die Gegenstände aus Billas Brennofen: anfassen, hochheben, spüren, wie leicht die filigranen Kunstwerke sind, vorsichtig wieder abstellen, da die Zartheit unmittelbar spürbar ist. Dennoch sind die Teile erstaunlich stabil. Ich verwende die Teller und Schüsseln beinahe täglich in der MOKO Küche und gebe auch alles in die Spülmaschine.

Lernt man Billa persönlich kennen, stellt man gleich fest, dass sie zu einhundert Prozent ihre wunderbaren Werke verkörpert. Einmal sind die Werke akribisch gleichmäßig, präzise wie mit dem Lineal gezogen, hauchzart und filigran, so wie beispielsweise die geschnittenen Schalen. Oder es verströmen Tellerchen, wie ich sie in meiner Küche habe, einen kleinen Witz, spieleisch und leicht, so als ob Billa den Tellerchen auf seinem Weg zur Vollendung noch einen kleinen, verschmitzten Schlenker mitgeben wollte. Individuell wie ihre Löffel und wieder lustig, wie beschriebener Brunnen in Basel.

Alle Stücke, ob Schalen, Teekannen, Servierplatten und Teller sind handgemacht und frei auf der Scheibe gedreht. Die englische Porzellanmasse kann sie so dünn drehen, dass die durscheinende Leichtigkeit des Materials voll und ganz zur Geltung kommt.

Billa hat seit Jahren bei den Keramiktagen in Diessen am Ammersee einen Stand (über die Tage von Christi Himmelfahrt), wo man ihre Arbeiten bewundern und kaufen kann. Oder man besucht sie gleich in ihrer Werkstatt. Oder Sie essen aus ihrem wunderschönen Geschirr bei mir in der MOKO, um festzustellen, dass das Essen in einem solchen Gefäß angerichtet gleich noch mal besser schmeckt.“

Gabriele Hussenether

Gastkolumnistin der Wochenmarktkolummne „Küchenzuruf“ bei Zeit Online und Betreiberin der „MOKO“ in Nürnberg

www.mobilekochkultur.de

 

  MÜNCHNER FEUILLETON·AUGUST / SEPTEMBER 2021


Umgangsformen
Backen und den Tisch decken – die Keramikerin Billa Reitzner liebt beides. Ein Porträt.


JULIE METZDORF
»Meine Großeltern waren Bäcker und meine Großmutter hat auch noch geklöppelt. Vielleicht kommt da irgendein Bezug zu meinen geschnittenen Schalen her.« Und wirklich
sehen Billa Reitzners »geschnittene Schalen« aus wie gebackene Spitze: weiße oder auch mal schwarze Porzellanschalen, aus denen sie noch vor dem Brand mit einem sehr spitzen und sehr scharfen Messer Kreise, Ovale oder andere Lochmuster herausschneidet. »Zwischen ganz feucht und trocken gibt es einen Zustand, der heißt lederhart, da behält die Porzellanmasse die Form und man kann sie bearbeiten.« Jede Form wird einzeln herausgeschnitten, ohne Schablone und mit einem Höchstmaß an Konzentration und Fingerfertigkeit. 2017 erhielt Billa Reitzner für diese Arbeiten den Bayerischen Staatspreis für Gestaltung, außerdem ist sie Trägerin des Dießener Keramikpreises, ist in Galerien vertreten und nimmt regelmäßig an Ausstellungen etwa der Galerie Handwerk teil. Dank ihres treuen Kundenstamms ist die Münchnerin bisher recht gut durch die Krise gekommen. Ihr Glück: Sie hat einen eigenen »Showroom« gleich neben ihrer Werkstatt in der Giesinger Zugspitzstraße. Sie ist also nicht nur auf Märkte angewiesen, wie etwa den Dießener Töpfermarkt, der sein 20-jähriges Jubiläum coronabedingt nicht feiern konnte und nun bereits zum zweiten Mal in Folge ausfällt.
In ihrem Showroom präsentiert Reitzner ihre Arbeiten: Darunter viele Servierplatten verschiedenster Größe und voller grafischer Muster, meist Schwarz-Weiß, aber auch in Rot
oder Orange. Manche ihrer Servierpatten sind so schön, dass einige Kunden sie sich einfach an die Wand hängen. Die Grundformen der Muster sind geometrisch: Kreise, Punkte,
hauchzarte Linien. Nichts wirkt steif oder starr, vielmehr menschlich, spielerisch, und leicht. Dafür sorgen minimale Abweichungen oder auch der Herstellungsprozess: Das Por-
zellan verglast im Ofen und wird dabei ein bisschen weich. Dadurch senken sich die freistehenden Ecken und die Mitte der Platten leicht ab. »Man merkt, dass es sich mal bewegt
hat im Ofen, die Stücke haben immer noch die Erinnerung an diese Bewegung.« Auch die Porzellanmasse, mit der sie arbeitet, sorgt für eine »weiche« Grundstimmung: »Das ist nicht bläulich weiß, sondern so ein bisschen cremefarben. Das finde ich viel schöner, wenn man Speisen auf dem Teller hat. Das Bläuliche ist mir irgendwie zu hart.« Was auffällt: Die Platten haben keinen farblich akzentuierten, abschließenden Rand, sondern die Muster
sind immer angeschnitten, »weil das dann so darüber hinausweist. Wenn man es betrachtet, vervollständigt man es eigentlich, also man beschäftigt sich sofort damit«. Man denkt das Stück im Kopf weiter. Dieser Gedanke gefällt Billa Reitzner: dass die Nutzer dem Stück etwas Eigenes hinzufügen, es auf ihre eigene Weise benutzen, schließlich arbeitet jeder anders im Haushalt, hat andere Handbewegungen, andere Abläufe. Ganz besonders gilt das für ihre Löffel aus schwarzem oder weißem Porzellan, manche winzig, andere breit und flach oder mit Löchern in der Laffe. »Manchmal fragen Leute: Für was kann man die denn nehmen? Das weiß ich nicht! Ich finde es schön, wenn die Menschen ihre eigene Verwendung finden, so kleine Alltagsrituale. Ich habe eine Kundin, die nimmt jeden Tag ihr Frühstücksei mit dem Löffel aus dem Wasser – nur dafür gibt es diesen Löffel. Jemand anderes nimmt immer einen weißen Löffel für die Sahne: So ein spielerischer Umgang freut mich sehr.«

Ihre Leidenschaft für Keramik ist Billa Reitzner auch nach 40 Berufsjahren nicht abhanden gekommen. Noch immer ist sie fasziniert von der Wandlungsfähigkeit des Materials: weich und glitschig bei der Bearbeitung, steinhart und ein gutes Stück kleiner nach dem Brand. Keramik hat es ihr auch deshalb angetan, weil man die Dinge wirklich benutzen kann. »Das hat etwas Körperliches: Die Kanne, aus der man etwas ausgießt, die Schale, die man in der Hand hat: das verbindet sich mit dem Körper.« Auch bei der Herstellung der Sachen spielt der Körper eine wichtige Rolle: »Beim Drehen ist es ganz wichtig, richtig dazusitzen, zentriert zu sein. Am besten ist es eigentlich, wenn ich die Hände vergesse, das fließt dann so. Es gibt aber auch Tage, da finden die Hände nicht zueinander. Ich habe ja eine Hand innen und die andere außen, dazwi-schen läuft das Porzellan, und die müssen aufeinander reagieren.« Feldenkrais und Thai Chi helfen ihr, die Verbindung zu ihrem eigenen Körper zu stärken und eine Präsenz herzustellen, die den ganzen Körper umfasst, die nicht starr, sondern in der Bewegung verankert ist.
Zu ihrer Liebe zur Keramik gesellt sich die Liebe zum Backen. »Ich backe gern. Ich backe Kuchen und ich backe Keramik!« Und wie schaut es eigentlich auf dem eigenen Esstisch aus? »Manchmal wird der Tisch bewusst gedeckt, manchmal unbewusst, ich mag da keine Starrheit. Man hat Stücke, die man liebt, die vielleicht nicht schön sind … , aber da hängen irgendwelche Erinnerungen dran, das berührt einen. Also ich bin da nicht so streng, dass das alles so in einem Stil sein muss. lch benutze mein eigenes Porzellanservice und dann kaufe ich gern von Kollegen dazu, als Akzente. Das erinnert mich an eine Situation oder an die Person.«
Die Ruhe im Lockdown hat Billa Reitzner zu nutzen gewusst. Sie hat in dieser Zeit eine Werkgruppe mit einem völlig neuen Charakter entwickelt: Platten aus Steinzeug, bemalt
mit gefärbtem Porzellanschlicker, die wie ein Tafelaufsatz funktionieren. Nur eben nicht wie in den schnörkeligen Formen des Barock, sondern in einer ganz klaren geometrischen
Formensprache. »Die sind für den Tisch gedacht als etwa Schönes, was da liegt. Man kann was Heißes drauf tun, man kann Speisen drauflegen.« Das spielerische Element kommt
auch hier nicht zu kurz: Was auf der einen Seite wie Griffe für ein Tablett funktioniert, wird zu Füßen, wenn man die Platte umdreht. In manchen Füßen verbirgt sich auch noch eine kleine Schale, die man als Eierbecher nutzen kann oder für Oliven. »Umgangsformen« nennt Billa Reitzner diese modernen Tafelaufsätze. »Ich mag dieses Offene, wenn jeder damit umgeht, wie er mag. Es ist ein Angebot, das ich mache.« ||